Bistum Trier:Fastenhirtenbrief 2025 von Bischof Dr. Stephan Ackermann

Hirtenbrief zur österlichen Bußzeit 2025
„Unglaublich: Ich glaube.“
Liebe Schwestern und Brüder im Bistum Trier!
„Es stritten in den einzelnen Städten Bischöfe gegen Bischöfe, es stand Volk gegen Volk und fast schlugen sie sich gegenseitig nieder“, so beschreibt der antike Geschichtsschreiber Eusebius die Situation der Kirche im vierten Jahrhundert (v. Const. III,4).
Es waren nicht nur die Theologen, die im Streit miteinander lagen, sondern auch die Gläubigen insgesamt. Man diskutierte beim Einkaufen in den Läden und auf den öffentlichen Plätzen. Oft blieb es nicht bei reinen Wortgefechten, sondern man wurde handgreiflich. Ja, es kam zu regelrechten Tumulten und Straßenschlachten. Der Kaiser, Konstantin der Große, fürchtete, dass darüber die Einheit seines Imperiums auseinanderbrechen könnte. Deshalb berief er alle Bischöfe des Reiches zu einer großen Kirchenversammlung an seinen Sommersitz in Nizäa, einem schön gelegenen Ort, etwa 150 Kilometer südlich vom heutigen Istanbul. Mehr als 250 Bischöfe folgten dem Aufruf des Kaisers und versammelten sich dort im Jahr 325, also vor genau 1.700 Jahren.
Was war der Auslöser für den erbitterten Streit, der in der damaligen Christenheit tobte? Auslöser war die Frage nach der Göttlichkeit Jesu. Anders gesagt, ging es um die Frage, was es bedeutet, von Jesus als dem „Sohn Gottes“ zu sprechen.
Für die einen war der Titel „Sohn Gottes“ so etwas wie eine Ehrenbezeichnung, um auszudrücken, dass Jesus der Mensch ist, der Gott am nächsten steht. Wortführer dieser Gruppe war ein ägyptischer Priester namens Aríus. Für die anderen war die Anrede „Sohn Gottes“ mehr: „Sohn zu sein“ bedeutet, dass Jesus nicht nur Gott ähnlich, sondern tatsächlich auch Gott ist. Die Anhänger des Aríus sahen darin die
Gefahr, in einen Vielgötterglauben zurückzufallen. Dagegen wurde argumentiert, dass Jesus – wenn er nicht wirklich Gott und Mensch zugleich ist – nicht in der Lage gewesen wäre, uns zu erlösen. Denn: Der bloße Mensch Jesus, und sei er noch so gottbegnadet, hätte nicht die Macht, uns von den Grenzen unseres Menschseins zu
befreien und in die volle Gemeinschaft mit Gott zu führen.
Die übergroße Mehrheit der Kirchenversammlung von Nizäa sah das so und fasste ihre Überzeugung zusammen in dem Text, den wir bis heute mit der ganzen Christenheit als das sogenannte Große Glaubensbekenntnis beten. In ihm bekennen wir Jesus als „Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater“.
Die Leidenschaft und die Erbitterung, mit der die frühen Christen um das richtige Bekenntnis zu Jesus Christus gestritten haben, lässt uns staunen. Wenn die große Umfrage stimmt, die in jüngster Zeit unter katholischen und evangelischen Christinnen und Christen in unserem Land durchgeführt wurde1, sind diese Glaubenskämpfe
der frühen Kirchengeschichte für die allermeisten Kirchenmitglieder von heute gar nicht mehr nachvollziehbar. Die Umfrage hat nämlich ergeben, dass nur circa 30 Prozent der Christinnen und Christen von sich sagt: „Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der sich in Jesus Christus zu erkennen gegeben hat.“
Dieser Befund muss uns zu denken geben. Denn hier geht es um das Herzstück des christlichen Glaubens. Wenn Christus in unserer Religiosität nicht die Rolle spielt, die das Bekenntnis von Nizäa formuliert hat, dann wird unser Glaube seines innersten Kerns beraubt. Dann heißen wir zwar Christen, aber sind wir es wirklich? Bitte
verstehen Sie mich nicht falsch: Ich sage dies nicht, um ein Urteil über den persönlichen Glauben einzelner Menschen zu fällen, sondern um auf das unverwechselbare Geschenk aufmerksam zu machen, das uns der christliche Glaube mit Jesus Christus gibt.
Von Papst Benedikt XVI. stammt ein Satz, der mir in diesem Zusammenhang immer wieder in den Sinn kommt. Benedikt XVI. hat ihn in einer Predigt wie nebenher gesagt. Aber dieser Satz ist, wenn man ihn näher bedenkt, von großer Bedeutung: „Vergessen wir nicht“, so hat der Papst noch in seiner Zeit als Kardinal gesagt, „dass Gott
rätselhaft bleibt, wenn er nicht im Antlitz Christi erkannt wird.“2 – Jemand, der so oft und mit großer Selbstverständlichkeit wie Benedikt XVI. von Gott gesprochen hat, bekennt, dass der Blick zu Gott ohne Jesus und seine Botschaft dunkel und rätselhaft bleibt, ja, dazu angetan ist, den Menschen Angst zu machen.
Ein anderer großer theologischer Denker (Karl Rahner) hat die Bedeutung Jesu mit folgenden Worten auf den Punkt gebracht: „Man hat mit Jesus in Wahrheit doch nur etwas zu tun, wenn man ihm um den Hals fällt und in der Tiefe seiner eigenen Existenz realisiert, dass so etwas auch heute möglich ist.“3
Das genaue Gegenbild dazu haben wir eben im Evangelium gehört: Zwar spricht der Teufel Jesus korrekt als „Sohn Gottes“ an (er ist übrigens der erste, der das im Evangelium tut), aber er tut dies nicht, weil er sich zu Jesus bekennen will, sondern nur
deshalb, weil er einen sicheren Instinkt hat für die göttliche Macht, die in Jesus da ist, und weil er Jesus dazu provozieren will, diese Macht zur Selbstdarstellung zu missbrauchen. Jesus aber widersteht dem.
Liebe Schwestern und Brüder! Die vierzig Tage der Fastenzeit bieten uns die Gelegenheit, uns bewusster als sonst die Frage zu stellen: Wer ist Jesus für mich? – Ist er für mich derjenige, der ganz menschlich und ganz göttlich zugleich ist? Ist meine Beziehung zu Jesus so, dass ich mir vorstellen kann, ihm „um den Hals zu fallen“? Dürfen seine Worte mein konkretes, alltägliches Handeln erkennbar beeinflussen? Was kann ich tun, damit mein Verständnis von Jesus und meine Beziehung zu ihm wachsen?
Nach Ostern feiern wir in Trier wieder die Heilig-Rock-Tage, unser Bistumsfest. Es steht in diesem Jahr unter dem Leitwort „Unglaublich: Ich glaube!“ Dieses Leitwort spielt bewusst an auf die ersten Worte unseres Glaubensbekenntnisses. Zugleich ist in ihm das freudige Staunen darüber zu hören, überhaupt glauben zu können. Denn der christliche Glaube ergibt sich nicht einfach von selbst. Er ist Geschenk, ist Gabe
und Aufgabe zugleich. Er will immer neu erbeten und errungen werden. Das Jubiläum des Konzils von Nizäa kann uns dazu ein willkommener Anstoß sein. Ich lade Sie herzlich ein, sich bei verschiedenen Veranstaltungen rund um das Jubiläum zur Auseinandersetzung mit den eben genannten Fragen anregen zu lassen. Eine Übersicht und Materialien dazu finden Sie auf der Internetseite unseres Bistums.4
In der Verbundenheit unseres gemeinsamen Glaubens an Jesus Christus, den Sohn Gottes, grüße ich Sie herzlich und wünsche Ihnen einen gesegneten Weg auf Ostern zu!
Ihr Bischof
+ Stephan
Für die allgemeine Öffentlichkeit steht das Video ab dem 8. März 2025, 18 Uhr, auf www.bistum-trier.de zur Verfügung.
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1 Wie hältst du‘s mit der Kirche? Zur Bedeutung der Kirche in der Gesellschaft. Überblicksband KMU,
Leipzig 2023, 33 (https://kmu.ekd.de).
2 Predigt im Requiem für L. Giussani am 24. Febr. 2005 im Mailänder Dom.
3 Karl Rahner: Was heißt Jesus lieben?, in: SW 29, Freiburg 2007, 197-230, hier: 204.
4 Vgl. https://www.bistum-trier.de/nizaea.